David Bowie Forum

Am Abend beim Konzert hält jemand das Schild „Rammstein forever“ hoch. Das Publikum ist so bunt gemischt wie wohl sonst nur bei Helene Fischer: Jungsbanden, Mädchengangs, Pärchen jeden Alters, Familienverbunde, sechsjährige Kinder an der Hand vom Papa. Viel Schwarz, viel Tattoo. Für etliche Leute scheint es der Kirchgang des Jahres zu sein. Je martialischer sie aussehen, desto freundlicher sind sie.

Es gibt Leute, die bis heute nicht wissen, dass Rammstein aus der DDR stammen. Die Musiker mögen das vereinte Deutschland nicht sonderlich, und Deutschland schmollt zurück. Das Ausland aber liebt ihren teutonischen Krach, weltweit lernen junge Menschen unsere Sprache, um Lindemanns Texte zu verstehen und mitsingen zu können. In Sachen Kulturarbeit steht die Band dem Goethe-Institut näher, als jenem wohl lieb ist.

Rammstein machen unbequeme Kunst, mit der sie den Finger tief in den Arsch der Gesellschaft stecken. Das ist auch als Konzertevent aufwendig inszeniert, provokant, vielschichtig – und immer wieder verstörend. In „Mein Teil“ tapst Lindemann wie ein angeschossener Bär in Fleischerschürze und mit einem Schlachtmesser in der Hand über die Bühne und grinst derart debil, dass sogar der Bierausschank – 6,50 Euro der halbe Liter Radeberger – kurzzeitig zum Erliegen kommt. Dafür schießt die Peniskanone, nachdem sie letztes Jahr pausierte, wieder ihr Schaumbad ab; aber ehrlich, das wirkt hier mehr wie Karneval als wie Koitus.

Till Lindemann ist der Fixpunkt des Auftritts. Seine Poesie, seine Theatralik zeitigen eine berückende Wahrhaftigkeit.

Apropos Kinder: Die im Publikum haben ihren vielleicht schönsten Moment, als sie von acht bis eins runterzählen und „Hier kommt die Sonne!“ brüllen dürfen. Da ist es 21 Uhr, und die echte Sonne versinkt gerade hinterm Rinnenrand. Wieder so ein Moment der Ironie. Ähnlich dem, als die Musiker nach dem Song „Engel“, den sie auf einer kleinen Bühne mitten in der Menge in einer zarten Klavierversion spielten, in drei Schlauchbooten auf die Hauptbühne zurückrudern.

Vielleicht ja eine leise Beruhigung. Heute, wo die Krieg-und-Klima-Krisen tagtäglich unsere Köpfe malträtieren und die moralische Selbstzerfleischung der Gesellschaft schon die Knochen erreicht, wirkt dieser Auftritt von Rammstein wie ein Trostpflaster aus der schönen alten Welt.